NVA-relevante Auszüge aus dem Bericht der Radarkommission

 

3.         ERGEBNISSE  (S. III)

3.1      Expositionen

Beim Betrieb, bei Wartung und Reparatur von Radargeräten können Expositionen gegenüber ionisierender Strahlung und Hochfrequenzstrahlung (HF-Strahlung) auftreten….. Bei der ionisierenden Strahlung handelt es sich vornehmlich um Röntgenstrahlung von so genannten Störstrahlern, d.h. Bauelementen (Elektronenröhren), die als unerwünschten Nebeneffekt Röntgenstrahlen aussenden.

 

Exposition gegenüber Röntgenstrahlung

            Die Phase1 ist dadurch charakterisiert, dass kaum Messungen zu Ortsdosis-leistungen und keine personenbezogenen Dosiswerte vorhanden sind oder zuverlässig rekonstruiert werden können. Für die Phase1 wird eine zuverlässige oder auch nur obere Abschätzung der Exposition durch Röntgenstrahlung rückwirkend für nicht möglich erachtet, da die Daten- und Informationsbasis unzureichend ist. Eine Übertragung der Ergebnisse späterer Messungen (der Strahlenmessstellen der Bundeswehr) als auch aktueller Messwerte auf frühere Expositionszeiträume ist in der Regel nicht möglich, da eine Vielzahl von Einflussfaktoren nicht mehr rekonstruierbar sind.

Für die NVA-Geräte erstreckt sich der Zeitraum der Phase 1 bis zum Ende der NVA, da für die NVA-Geräte nach Kenntnis der Bundeswehr hinreichend repräsentative Messungen der Ortsdosisleistung und der personendosimetri-schen Überwachung nicht vorhanden sind.

 

4.         EMPFEHLUNGEN  (S. VIII)

4.1      Erkrankungen

            Die folgenden drei Bedingungen zur Anerkennung müssen erfüllt sein:

            1.         Als qualifizierte Krankheiten sind aufgrund einer Exposition gegenüber            Röntgenstörstrahlung grundsätzlich alle malignen Tumore – mit Ausnah-

me der Chronisch Lymphatischen Leukämie (CLL) – anzusehen…“

           

            2.         Voraussetzung sind ärztlich bestätigte Diagnosen mit pathologisch-

histologischem Befund.   

 

            3.         Das Auftreten eines soliden Tumors muss mindestens 5 Jahre nach

Beginn der Strahlenexposition liegen, bei Leukämie und

Knochensarkomen müssen wenigstens 2 Jahre zwischen Strahlenexposition und deren Auftreten vergangen sein.

 

4.2             Exposition

Die Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung wird entsprechend der in Abschnitt 3.1 angegebenen drei Phasen bewertet. In den Phasen1 und 2 sind erhebliche Strahlenexpositionen möglich. So sollte in Phase 1 Erkrankungen nach Abschnitt 4.1 bei allen Personen anerkannt werden, die am Radargerät SGR-103 gearbeitet haben, das von 1961 an in der Bundesmarine eingesetzt wurde.

Für andere Personen, die an anderen Radaranlagen gearbeitet haben, wird im ausführlichen Teil des Berichtes ein zusätzlicher Kriterienkatalog vorgeschlagen….

 

 

 

 

 

4.3             Verfahrensregelung  (S.IX)

Die Antragsteller sollten bei Vorliegen der drei in Abschnitt 4.1 genannten Bedingungen bei der Rekonstruktion der Arbeitsplatzverhältnisse und vor endgültiger Bescheiderteilung gehört werden.

 

Weitere Untersuchungen auf dem Gebiet der individuellen Expositions-Rekonstruktion für die Phase 1 hält die Kommission für nicht erfolgver-sprechend. Aus diesem Grund empfiehlt die Kommission, solche Untersuchungen nicht aufzunehmen.

 

2.2.2   Nationale Volksarmee  (S.14)

            Der Strahlenschutz beim Betrieb von Einrichtungen, in denen ionisierende

Strahlung als Nebeneffekt entsteht, war in der DDR seit 1964 geregelt.

Grundlage für diese Regelungen waren die Empfehlungen des Internationalen

Committee on Radiation Protection (ICRP), wobei auch die Festlegungen der

Euratom-Grundnorm vom 2.Februar 1959 (AblEG 1959, S.221) berücksichtigt

wurden.

 

Für den Strahlenschutz beim Betrieb von Radareinrichtungen sind von Bedeu-

tung die Verordnung über den Schutz vor der schädigenden Einwirkung

ionisierender Strahlung vom 10.Juni 1964 – Strahlenschutzverordnung – (GBl

II Nr.99, S.627) und nochmals 1984 novelliert und als Verordnung über die

Gewährleistung von Atomsicherheit und Strahlenschutz vom 11.Oktober 1984

(GBl I Nr.30, S.325) veröffentlicht wurde, und die Anordnung über die Bauart-

zulassung von Strahleneinrichtungen, umschlossener Strahlenquellen und von

Mitteln zur  Gewährleistung des Strahlenschutzes und der nuklearen Sicherheit

vom Oktober 1988 (GBl I Nr.24, S.265). Diese Strahlenschutzvorschriften

galten für die NVA unmittelbar und mussten in deren Zuständigkeitsbereich

eigenverantwortlich durch die NVA umgesetzt werden.

 

Über die Umsetzung der Strahlenschutzvorschriften und das Strahlenschutz-

regime beim Betrieb von Radareinrichtungen liegen der Radarkommission nur wenige Erkenntnisse vor.

 

Das BMVg hat der Radarkommission unter Berufung auf die Wehrdienstverwaltung Ost berichtet, dass das Radarpersonal der NVA weder Filmdosimeter noch Fingerringdosimeter getragen hat und Unterlagen zur Personendosimetrie nicht vorliegen.

 

Informationen über Gefährdungen durch Röntgenstörstrahlung hat es zumindest für höher qualifizierte Radartechniker (z.Bsp. im Rahmen der Offiziersausbildung) gegeben.

Im Rahmen einer Anhörung wurde von den beiden ehemaligen NVA-Soldaten glaubhaft dargestellt, dass sie als Grundwehrdienstleistende hierüber nicht belehrt wurden.

 

2.3       EXISTIERENDE MESSUNGEN DER RÖNTGENSTÖRSTRAHLUNG AN

RADARGERÄTEN

Schlussfolgerungen zur Repräsentativität der Messwerte    (S.31)

Die vorliegenden Messwerte sind nur bedingt für eine statistische Analyse zum Zwecke der Bestimmung von Ersatzdosen geeignet, da sie nach Anzahl und

 

 

 

 

Qualität viele Fragen offen lassen. Außerdem lassen sich viele Parameter zur Auslegung und zum Betrieb der Röhren heute nicht mehr rekonstruieren, obwohl ihr Einfluss auf die Messwerte erheblich ist.

 

Diese Probleme gelten für die Bundeswehr und in noch viel stärkerem Maße für die NVA.

 

4.         BISHERIGE VORGEHENSWEISE ZUR BESTIMMUNG VON ERSATZDOSEN

            S.45

…Bei der Anhörung zum P-15 wurde von dem anwesenden ehemaligen Soldaten der an diesem Gerät 1969-1970 als Techniker und Funkorter eingesetzt war, dargestellt, dass in Ausnahmefällen Reparaturarbeiten am Sender bei offener Tür und anliegender Hochspannung erfolgten

Dies wurde von einem Vertreter der Bundeswehr und früheren NVA-Offizier mit Erfahrung am P-15 bestätigt. Auch wenn solche Arbeiten nur selten erforderlich waren (als Intervall wurde übereinstimmend etwa einmal alle zwei Monate genannt) und zeitlich begrenzt waren, könnte dies den wesentlichen Dosisbeitrag an diesem Gerät liefern….

 

7.2             KRITERIEN FÜR DIE ANERKENNUNG EINER ERKRANKUNG

Die grundsätzliche Basis für die Entschädigung beruflich erworbener Gesund-5heitsstörungen ist das Berufskrankheitenrecht….

 

8                   GESAMTBEWERTUNG DER VORGEHENSWEISE DES BMVG UND

     VERGLEICH MIT ANDEREN VERFAHREN  (S.111)

Eine Besonderheit des Sozialen Entschädigungsrechtes ist die so genannte „Kannversorgung“: Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden.

 

8.3      ZUM BISHERIGEN VERFAHREN DES BMVG UND VORSCHLÄGE ZUR MODIFIKATION    (S.128)

(b)       Die Kommission ist der Ansicht, dass wegen der dargelegten epidemiologischen

Unsicherheiten und in Übereinstimmung mit [UNSCEAR 2000] und der US-Amerikanischen Vorgehensweise im angefragten konservativen Sinne auf generelle Malignomausschlüsse außer der CLL verzichtet werden sollte.

 

9                   ZUSAMMENFASSUNG UND EMPFEHLUNGEN         (S.130)

9.1             EXPOSITIONEN

9.1.1       Röntgenstörstrahlung

In der Bundeswehr lässt sich der Umgang mit Störstrahlern in Radar-Waffensystemen nach den Erkenntnissen der Kommission historisch in drei Phasen gliedern:

Die Phase 1 ist dadurch gekennzeichnet, dass Messwerte, welche die nachträgliche Ermittlung der Exposition gestatten würden, nicht vorliegen und, gemessen an heutigen Maßstäben, kein adäquater Strahlenschutz bestand…

…Eine Übertragung der Ergebnisse späterer Messungen auf frühere Expositionszeiträume ist in der Regel nicht möglich, da eine Vielzahl von Einflussfaktoren nicht mehr rekonstruierbar sind.

 

 

 

 

Für die Vielzahl der Störstrahler, für die keine oder nur eine geringe Zahl von Messungen der Ortsdosisleistung vorliegt, können keine Aussagen über Expositionen getroffen werden. Sie müssen daher der Phase 1 zugeordnet werden.

 

Für Radargeräte, die bei der früheren NVA eingesetzt worden sind, empfiehlt die Kommission prinzipiell ein analoges Vorgehen. Im Ergebnis sind die NVA-Geräte generell der Phase 1 zuzuordnen, da der Kommission weder Hinweise auf systematische Untersuchungen der von ihnen ausgehenden Röntgenstör-strahlung noch auf die Durchführung entsprechender Strahlenschutzmaßnahmen vorliegen.

 

9.3      EMPFEHLUNGEN    (S.135)

9.3.1       Röntgenstörstrahlung

Die Kommission empfiehlt folgendes prinzipielles Vorgehen bei der Bewertung der in den Anträgen aufgeführten Krankheitsbilder:

1.      Als qualifizierte Krankheiten sind alle maligneren Tumore – mit Ausnahme der Chronisch Lymphatischen Leukämie (CLL) – anzusehen sowie Katarakte.

2.      Voraussetzung sind ärztlich bestätigte Diagnosen mit pathologisch-histologischem Befund.

3.      Die Latenzzeiten, d.h. die Zeit zwischen Beginn der Exposition und Manifestation des Tumors, müssen für solide Tumore mindestens 5Jahre, für Leukämie und Knochensarkome mindestens 2 Jahre betragen.

  

Phase 1:

Personen, die während dieser Phase am SGR-103 tätig gewesen sind, und für die die Bedingungen 1-3 erfüllt sind, sollten anerkannt werden.

Die Kommission stützt diese Empfehlung darauf, dass die 1975 ermittelten Ortsdosisleistungen eine Höhe erreichten, bei der schon bei kurzen Aufenthaltszeiten im Strahlenfeld Dosiswerte zu berechnen sind, die beispielsweise Grenzen überschreiten, die im Rundschreiben des BMA vom 13.05.2002 festgelegt worden sind. Die Kommission hat sich zudem davon überzeugt, dass die von dem Störstrahler mit dem dominanten Dosisbeitrag, einer Clipperdiode, ausgehende Strahlung eine Energieverteilung und Eindringtiefe in menschlichem Gewebe aufweist, die eine Schädigung auch tiefer liegender einzelner Organe erlaubt.

 

Personen, die an anderen Radargeräten tätig gewesen sind, sollten anerkannt werden, wenn neben den 3 oben erwähnten prinzipiellen Bedingungen zu den Krankheitsbildern der folgende Kriterienkatalog erfüllt ist:

a.)               Als qualifizierend sind Arbeiten als Techniker/Mechaniker oder Bediener (Operator) an Radaranlagen anzusehen.

b.)               Aufgrund der energieabhängigen Eindringtiefe der Röntgenstrahlung in menschliches Gewebe kommen in Abhängigkeit von der maximalen Betriebsspannung nur bestimmte Tumorlokalisationen in Frage. Für die in der folgenden Tabelle aufgeführten Organe sind dies die mit „X“ gekennzeichneten:

 

 

 

 

 

 

 

 

Tab. 9-1:        Für die in der Tabelle aufgeführten Organe kommen in

                     Abhängigkeit von der maximalen Betriebsspannung nur die mit

                        „X“ bezeichneten Lokalisationen als durch Exposition durch

                     Röntgenstörstrahler verursacht in Frage.

 

 

                                                           

Lokalisation

 

Maximale Betriebsspannung

 

 

<10kV

10-15kV

15-20kV

20-30kV

>30kV

Augenlinse

X

X

X

X

X

Blase

O

X

X

X

X

Dickdarm

O

O

X

X

X

Haut

X

X

X

X

X

Knochenoberfläche

X

X

X

X

X

Leber

O

O

X

X

X

Lunge

O

O

X

X

X

Magen

O

X

X

X

X

Schilddrüse

X

X

X

X

X

Speiseröhre

O

O

O

O

X

Testes

X

X

X

X

X

Thymus

O

X

X

X

X

 

 

                        Die Tabelle wurde aufgrund der Angaben in ICRU 57 erstellt. Es wurde

konservativ die Maximalenergie monoenergetischer Photonenstrahlung,

korrespondierend zur maximalen Betriebsspannung zu Grunde gelegt. Als Abschneidekriterium wurde folgende Definition verwendet: in den Fällen, in denen die Dosis für das Tumorgewebe <10% der Dosis für die Knochenoberfläche beträgt, ist eine „0“ eingetragen. Zu beachten ist, dass in die Tabelle nur die Organe aufgenommen wurden, für die nach ICRU 57 numerische Werte vorliegen. Für alle anderen Organe ist eine Einzelfallbetrachtung nötig.

Zu berücksichtigen sind jeweils alle Störstrahler, an denen ein Antragsteller gearbeitet hat.

 

c.)               Eine Anerkennung kann ausgeschlossen werden, falls die Bundeswehr

Zeitnah nachweist, dass nur Teilkörperexpositionen auftreten konnten,

die das erkrankte Organ nicht betrafen.

           

d.)               Für Beschäftigungszeiten, für die keine ODL-Messungen existieren,

kann eine Ersatzdosisleistungsbestimmung wie von der Kommission für

Phase 2 empfohlen erfolgen….

 

e.)               Eine Anerkennung kann ausgeschlossen werden, wenn die Bundeswehr

nachweisen kann, das konstruktionsbedingt eine Tätigkeit am offenen

Gerät bei eingeschalteter Hochspannung in der Nähe des unabgeschirmten

Störstrahlers nicht möglich war und am abgeschirmten Gerät auftret- ende Ortsdosisleistungen einen Wert von 5uSv/h nicht überschreiten konnten. So gibt es beispielsweise NVA-Geräte, bei denen die relevanten Störstrahler durch Gehäusematerialien gut abgeschirmt waren und Arbeiten am offenen Gerät extrem selten vorkamen.

 

9.4                              BEWERTUNG DER VORGEHENSWEISE IN DEN ANERKENNUNGS-VERFAHREN UND VORSCHLÄGE ZUR MODIFIKATION

9.4.1               Bisheriges Vorgehen

c.)                   Die derzeitige Vorgehensweise beinhaltet den pauschalen Ausschluss bestimmter Erkrankungen (Bsp. Hodentumoren) ohne eindeutige wissenschaftliche Grundlage.

d.)                   Derzeit werden die Antragsteller je nach (Beschäftigten-)Status ungleich behandelt.

 

9.4.2                              Vorschläge zur Verfahrensregelung

Die Kommission kann keinen fachlichen Grund erkennen, der unterschiedliche Bewertungen in den Verfahren aufgrund der dienstrechtlichen Stellung der Antragsteller plausibel macht.

 

Die Antragsteller sollten bei Vorliegen der drei am Beginn des Abschnitts 9.3.1 spezifizierten Bedingungen bei der Rekonstruktion der Arbeitsplatzverhältnisse und vor endgültiger Bescheiderteilung gehört werden.

 

Weitere wissenschaftliche Untersuchungen auf dem Gebiet der individuellen Expositionsrekonstruktion für die Phase 1 hält die Kommission für nicht Erfolg versprechend. Aus diesem Grund rät die Kommission davon ab, solche Untersuchungen aufzunehmen.